1929-1938

75 Jahre Bürgerverein Hilden-Nord sind ein erstaunliches Jubiläum, wenn man bedenkt, daß das, was man heute unter "Nordstadt" versteht, kaum vier Jahrzehnte alt ist. 1929 zählte Hilden knapp 21 000 Einwohner.  Bewohnt wurde größtenteils die Innenstadt, etwa in einem Umkreis von 1-1,5 km um den historischen Alten Markt.  Die Bebauung verlief in West-Ost-Richtung entlang und beiderseits der mitten durch Hilden führenden, die Rheinebene mit dem Bergischen Land verbindenden Verkehrsstraße (Mittelstraße).  Wenn auch die öffentlichen Einrichtungen viel zu wünschen übrig ließen, Gastronomie und Handel befanden sich auf einer beachtlichen Höhe.  In Hilden lebte man gemütlich, und die Stadt mit der damals noch blühenden Hildener Heide wurde von Auswärtigen gerne besucht.  Die Straßen befanden sich in einem schlimmen Zustand, notdürftig mit Kies befestigt und zum großen Teil ohne Bürgersteige.  Regenwasserkanäle waren nur in wenigen Straßen vorhanden.  Schmutzwasserkanäle gab es überhaupt nicht.  Der Ausbau der Entwässerungsanlagen wurde erst Mitte der dreißiger Jahre im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Angriff genommen.

Abgesehen vom Standort der Fabriken im Westen der Stadt umgaben Felder und Wiesen den Stadtkern.  Sie rechtfertigten damals noch den Ruf Hildens als Stadt der Industrie und Landwirtschaft.  Im Norden trennte Ackerland auch die Hochdahler und Gerresheimer Straße, den Namen nach Landstraßen, in Wirklichkeit aber morastige Fahrwege.  An ihnen und einigen Nebenstraßen (Stockshaus-, Nord-, Hoffeld-, Mettmanner, Biesenstraße) schlossen sich von den 20er Jahren ab allmählich die Baulücken.  Was darüber hinaus noch in Streusiedlungen lag, wurde um die Hochdahler Straße mit der Bezeichnung "Kleef", um die Gerresheimer Straße mit "Meide" zusammengefaßt.  Erst 1955 erfolgte auf ständiges Drängen des Bürgervereins hin eine Auflockerung mit neuen Straßenbezeichnungen nach einem für ganz Hilden aufgestellten Plan des Beigeordneten Heinrich Strangmeier. Einige kleinere Ortsweiler schlossen sich am nördlichen Stadtrand an: Elb, Birken, Eickert, Loden- und Giesenheide.  Der Norden zählte damals höchstens 2-3000 Einwohner.  Dafür gab es aber mehr Wirtschaften als heute.

Von einem Gastwirt ging dann auch die Anregung aus, im Norden einen Bürgerverein ins Leben zu rufen.  Rudolf Clees, der in dritter Generation den "Kleefer Hof" bis 1954 bewirtschaftete, besuchte zur Karnevalszeit 1929 ein Fest der seit 1920 bestehenden Unterstädter Bürgergesellschaft in der Wirtschaft Hammerstein (Gerwing).  Der Abend gefiel ihm so gut, daß er sich mit einigen Freunden entschloß, auch im Norden einen Bürgerverein zu gründen.

1.Vorsitzender wurde Otto Eigen, 2. Vorsitzender Richard Siegel, Schriftführer Rudolf Eigen sen.  Später löste der sehr agile Bauunternehmer Richard Siegel Otto Eigen in der Vereinsführung ab.

Der Verein zählte 1931 = 45 Mitglieder, 1932 = 75, 1934 = 85, 1935 = 149, 1936 = 180, 1937 = 212 und 1938 bei der erzwungenen Auflösung 199.  Der Vereinsbeitrag betrug 20 Pfg. pro Monat.  Der Verein gab sich erstmalig 1931 eine Satzung.

Der Aufschwung setzte ein, als 1934 Willi Ungermann die Vereinsführung übernahm.  Er wurde noch in der Jahreshauptversammlung zum ,,Vereinsführer" gewählt, die übrigen Vorstandsmitglieder aber nach dem nationalsozialistischen Führerprinzip von ihm ernannt, Ernst Bertram zum stellv.  Vorsitzenden, Paul Schaaf und Ernst Hermes zu Schriftführern, Rudolf Clees zum Kassierer und Otto Eigen, Wilhelm Flaß und Paul Vaaßen zu Beisitzern.

Eine organisatorische Maßnahme, bis auf den heutigen Tag für den Zusammenhalt des Vereins von größter Bedeutung, ist die 1936 erstmalig vorgenommene Aufteilung des Vereinsgebietes in einzelne Straßenbezirke, denen jeweils ein Mitarbeiter zugeteilt wird.  Er hält die Verbindung zu den Mitgliedern in seinem Bezirk aufrecht und kassiert bei ihnen die Jahresbeiträge. 1936 wurden folgende Bezirke gebildet und folgende Mitarbeiter eingesetzt: Mettmanner Straße: Paul Schmitz, Hoffeldstraße: Heinrich Boddenberg, Hochdahler Straße: Fritz Bauer, Biesenstraße: Paul Vaaßen, Gerresheimer Straße - Meide: F. Geisler, Eickert-Birken: Alois Keller, Loch-Kleef: Karl Paß.  Heute bestehen 28 Straßenbezirke.

Das Betätigungsfeld des -Bürgervereins im ersten Jahrzehnt seines Bestehens läßt sich in dreifacher Hinsicht zusammenfassen: 1. Beschäftigung mit gemeindlichen Angelegenheiten, 2. Veranstaltung von Bürgerfeiern bei Goldhochzeiten und aus sonstigen Anlässen, 3. Pflege des heimatlichen Brauchtums, vor allem des Karnevals.

Dem kommunalpolitischen Wirken waren aber enge Grenzen insbesondere in den Jahren unter nationalsozialistischer Herrschaft gesetzt, als noch nicht einmal den hohen Ratsherren im Rathaus das Recht zustand, Abstimmungen vorzunehmen und Beschlüsse zu fassen.  Der 1935 beginnende Bau der Reichsautobahn von Oberhausen nach Köln, die den Stadtwald durchschnitt, bildete das alles andere überragende Ereignis.  Hier setzte sich der Bürgerverein erfolgreich bei den Behörden für die Anlegung einer Fußgängerbrücke über die Autobahn (Jägersteig) ein, wodurch über die Biesenstraße der Zugang zum Stadtwald erhalten blieb.

Ungeklärt blieb lange die Frage, was mit der durch die Autobahn totgelegten Hochdahler Straße geschehen sollte, Unter- oder Überführung oder als weitere Alternative Bau einer Ersatzstraße über Bibelskirch und Im Loch.  Ständiges Thema in den Versammlungen bildete die Verbesserung der Straßenbeleuchtung.  Hier wurden schrittweise Erfolge erzielt.  Dankbar begrüßte man, daß dem Hauptübel der damaligen Zeit, der Arbeitslosigkeit, mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der öffendichen Hand zu Leibe gegangen wurde.  Davon profitierte auch die Nordseite durch die Reinigung der Bachläufe und durch den noch provisorischen Ausbau der Fahrbahn der Hochdahler Straße bis Kolksbruch.  Die Anlegung eines Bürgersteigs blieb aber frommer Wunsch.

Für eine von Hilden über Mettmann nach Kettwig betriebene, aber nur schwach benutzte Autobuslinie gab der Bürgerverein verschiedene Anregungen zur Fahrplan- und Tarifgestaltung.

Pflege der Geselligkeit und des Bürgersinns sind die Triebfeder zur Gründung eines Bürgervereins im Norden gewesen.  Es lag deshalb nicht allein an den begrenzten Möglichkeiten, auf das kommunale Geschehen Einfluß zu nehmen, wenn sich der Bürgerverein vorwiegend der "Fidelitas" zuwandte.  Vorbereitung und Durchführung von Feiern bei Goldhochzeiten - diese gab es oft mehrere in einem Jahr - beanspruchten den größten Teil der Vereinstätigkeit.  Ob bei Mitgliedern oder Nichtmitgliedern, jede Goldhochzeit wurde groß unter Teilnahme der Bürgerschaft gefeiert, oft über drei Tage mit Fackelzügen, Ständchen und Saalfesten.  Bei Silberhochzeiten und Arbeitsjubiläen wurde gratuliert, bei Trauerfällen konduliert.  Betagte Bürger erhielten Geburtstagsglückwünsche des Vereins mit kleinen Geschenken.In den Jahreshauptversammlungen nahm sich Willi Ungermann ausgiebig Zeit, in seinem Jahresbericht dieser Familienereignisse zu gedenken.

"Bei uns auf der Nordseite war meistens alles eine Familie.  Das zeigte sich bei frohen und traurigen Ereignissen im täglichen Leben", schrieb Edmund Kurschildgen vom Kleef in seinen "Jugenderinnerungen eines alten Hildeners" (Hildener Jahrbuch 1953-1955).  Dieser "familiäre" Geist ist auch heute noch im Bürgerverein lebendig.

Es fehlte auch sonst nicht an Vergnügungen und Unterhaltungen, 1936 ein Sommer- und Kinderfest bei Richter, 1935 und 1936 Familienabende mit Lichtbildvorträgen und Filmvorführungen über "Die Schönheiten des Stadtwaldes und der Hildener Heide" (Lehrer Otto Vogelsang) und über den "Nordstädter Rosenmontagszug 1936".  Bürgerverein und Martinsverein Meide organisierten erstmalig 1936 gemeinsam den Martinszug im Norden.

Höhepunkte im Vereinsgeschehen waren aber die karnevalistischen Veranstaltungen. 1936 kürten die Nordstädter ihr erstes Prinzenpaar, Hans Schwan und Frau, und im gleichen Jahr zog auf der Nordseite der erste Hildener Rosenmontagszug, der viele Zuschauer auch aus den Nachbargemeinden anzog.  Ist der Nordstädter oder auch im weiteren Sinne der Hildener Karneval Brauchtum, hat er Tradition oder ist er bloße Nachahmung des karnevalistischen Treibens in den benachbarten rheinischen Metropolen Köln und Düsseldorf?  Auf diese Frage hin ist interessant zu lesen, was darüber Edmund Kurschildgen in seinen "Jugenderinnerungen" von 1880/90 schreibt: "Der Karneval hatte auf der Nordseite seine Geburtsstätte.  Zu Beginn der neunziger Jahre fing der Karneval bescheiden an.  Im Jahre 1900 wurde der erste Zug auf der Biesenstraße gemacht.  Eine Kapelle wurde gebildet aus Ziehharmonika, dicke Trommel und Hörnern aus Pappe.  So ging es durch den Busch, unsern jetzigen Stadtwald, nach der Wirtschaft Bertram.  Da wurden Karnevalslieder gesungen, meist eigene Dichtungen für die Nordseite.  Dann zogen wir nach'm Tönnes-Henn, da wo jetzt die Wirtschaft Richter ist -"de woll och die Puckele senn" - wie es in unserem Karnevalsliede hieß. 

Die Kapelle hieß die "PuckelsKapell' , weil die Musikanten sich alle einen Puckel gemacht hatten.  Schließlich ging es nach'm Clees Mal.  In dem Saal, wo die Kapelle zum Tanz aufspielte, war die ganze Nordseite versammelt.  In den folgenden Jahren wurde der Karneval an der Nordseite ausgebaut.  Es wurden auch Büttenreden gehalten, in denen die Hildener Ereignisse des vergangenen Jahres humoristisch behandelt wurden. 

Mitunter hatten wir auch Kölner Karnevalisten hier, wie Eberle, Schmitz u. a. Der erste Weltkrieg hat die Weiterentwicklung dieses Treibens gehemmt, aber doch nicht für immer.  Kurz vor Ausbruch des letzten Krieges stellte die Nordseite einen Wagen für den Rosenmontagszug in Ratingen.  Auf einem großen Lastwagen war die Doenshött, ein Wahrzeichen des alten Hilden, aufgebaut.  Der ehemalige Prinz Karneval, Willi Ungermann vom Kleef, war als Verkehrspolizist von anno dazumal dabei, und ein bekanntes Hildener Original als der letzte Erwerbslose.  Im Wagen saß das neue Prinzenpaar mit seinen Ehrendamen.  An Musik und den nötigen Getränken fehlte es nicht."

Der Karneval wurde also nicht von einigen von ihm begeisterten Mitgliedern des Bürgervereins auf der Nordseite eingeführt.  Er hatte dort Tradition.  Es war auch keineswegs so, daß der Bürgerverein allein die karnevalistischen Veranstaltungen plante und durchführte, wenn er auch die Hauptarbeit dafür leistete.  Die anderen 1935 zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossenen Vereine der Nordseite, der Männergesangverein "Jung Deutschland' , der St. Sebastianus -Bürgerschützenverein Hilden-Meide (Kleef) von 1484, der Deutsche Schießbund, das Tambourkorps Einigkeit und der Humoristen-Verein "Thalia" wirkten mit.

Der große Erfolg des Karnevalszuges 1936 ermunterte zu neuen Taten.  Dann kam aber der Vorsitzende am 23.  April 1936 in eine Sitzung des erweiterten Vorstandes mit einer Nachricht, die wie eine kalte Dusche wirkte.  Die Stadtverwaltung stehe dem Karneval ablehnend gegenüber.  Einige Monate später hatte man sich allerdings von dem Schock erholt, und im September 1936 sprach man sich mutig dafür aus, am Karneval festzuhalten und auch wieder einen Rosenmontagszug zu veranstalten.  Daraufhin fand eine Besprechung des Vorsitzenden mit Bürgermeister Schomburg statt, der davon abriet, den Rosenmontagszug 1937 "aufzuziehen".  Man fügte sich widerwillig.  Doch an einer Prinzenkürung und an einem Prinzenball hielt man fest.

Zum Prinzen wurde sogar der Vorsitzende des Bürgervereins Wilhelm Ungermann gekürt, und seine Prinzessin war ein Kind der Nordstadt, Maria Habbelrath, die gerade aus Amerika kommend in ihrer Heimatstadt zu Besuch weilte.

Bürgermeister Schomburg war von seiner Herkunft her sicherlich kein Freund des Karnevals.  Aber ebenso sicher ist, daß sein Vorgehen nicht seiner Initiative entsprang, sondern daß sich dahinter die Partei verbarg.  Der Nationalsozialismus lehnte den Karneval ab.  Daß die Gecken sich wie der Hofnarr am Fürstenhof das Recht nahmen, "frei von der Leber zu reden, ohne daß es krumm genommen wurde' , paßte nicht in eine Welt des Befehlens und Gehorchens. Jede Kritik wurde krumm genommen.  Sofort rigoros verbieten wollte man aber auch nicht, dafür war der Karneval zu populär.  So verfiel die Partei im Kreis Mettmann auf den Gedanken, nur noch einen Rosenmontagszug jeweils abwechselnd in einer anderen Stadt zuzulassen.  Dadurch wurde Prinz Willi - wie es Edmund Kurschildgen beschrieb - mit Wagen und Gefolge 1937 zum Rosenmontagszug nach Ratingen beordert.

Mit der Frage, wie es im Karneval weitergehen sollte, brauchte sich der Bürgerverein aber nicht mehr zu befassen.  Am 21.  April 1938 fand eine Vorstandssitzung statt mit dem einzigen Tagesordnungspunkt: "Liquidierung des Bürgervereins bzw. Überführung in den Verkehrs- und Verschönerungsverein".  Aus dem über diese Sitzung angefertigten Protokoll wird folgendes wörtlich wiedergegeben: "Vereinsführer Ungermann gab das Schreiben des Ortsgruppenleiters und Bürgermeisters bekannt und erstattete eingehend Bericht über die stattgefundene Verhandlung, an der außer den Vereinsführern der Bürgervereine eine Vertretung der Partei unter Ortsgruppenleiter Thiele, vom V. V. V. (Verkehrs- und Verschönerungsverein) Bürgermeister Schomburg und Geschäftsführer Henkels teilnahmen.  Vom B. V. (Bürgerverein) Nord waren vertreten die Vereinsführer Ungermann und Bertram.  Die Besprechung ergab folgendes Resultat: Der B. V. (Bürgerverein) Süd arbeitet seit einigen Jahren nicht mehr auf Grund der Tatsache, daß die Aufgaben Partei und V. V. V. zukommen.  Die Unterstädter Bürgergesellschaft beschränkt ihre Tätigkeit nur auf festliche Veranstaltungen, aber auch in diesem Rahmen wurde das Weiterbestehen verneint.  Der B. V. Ost bedauert das Eingehen der B. V. (Bürgervereine), sieht andererseits aber keine Arbeitsmöglichkeiten mehr.  Der Nordstädter B. V. hat ca. 200 Mitglieder und einen Kassenbestand von RM (kein Betrag angegeben).  Bürgermeister Schomburg stellte fest, daß die Auflösung für die Nordstadt ein besonderes Opfer bedeute.  Nach den Richtlinien des Landesverkehrsverbandes haben aber die B. V. (Bürgervereine) keine Existenzberechtigung mehr, da die bisherigen Aufgaben Sache der Verkehrsvereine und der Partei sind, andererseits ist die Durchführung der goldenen Hochzeiten etc.  Aufgabe der Partei und Zellen.  Nachdem also keine Möglichkeit gegeben, die Arbeiten des Bürgervereins in irgendeiner Form weiterzuführen, wurde vereinbart, der B. V. Nord löst sich auf und überführt seine Mitglieder in den Verkehrs- und Verschönerungsverein.  Aus dem Kassenbestand übernirnmt der B. V. die Beitragsleistung für 1 Jahr. 

Die Generalversammlung soll in Kürze stattfinden und wird mit einem Wurstessen und Hergabe einiger Biermarken verbunden sein.  Die Vereinsführer Ungermann und Bertram werden als Vorstandsmitglieder des V. V. V. die Belange der Nordseite vertreten.  Die Durchführung der goldenen Hochzeiten etc. soll wie bisher bleiben, so daß Ug (Ungermann) dieses Arbeitsfeld innerhalb der Partei verbleibt.  Das ist ausdrücklicher Wunsch von Ortsgruppenleiter Thiele."

Die eingeklammerten Zusätze wurden zum besseren Verständnis gemacht.

An diesen Bericht schloß sich eine lange Aussprache an.  Einige Vorstandsmitglieder - so heißt es in dem Protokoll weiter - "griffen sehr oft in die Debatte ein, um aufklärend zu wirken und schiefe Auffassungen zu beseitigen.  Besonderer Anlaß der Debatte waren neben der Auflösung die generelle Überführung in den Verkehrsverein.  Nach zweistündiger Aussprache wurde einstimmig beschlossen: "Der Vorstand billigt die Auflösung des B. V. und Überführung der Mitglieder in den Verkehrsverein und spricht für ihr tatkräftiges Eintreten für die Belange der Nordseite den Vereinsführern Ungermann und Bertram ihr vollstes Vertrauen aus.

Die Auflösung vollzog sich dann sehr schnell.  Am 23.  April 1938 fand im Saale der Wirtschaft Wwe.  Bertram die ordentliche Generalversammlung mit dem Tagesordnungspunkt "Überführung der Bürgervereine in den Verkehrsverein" statt.  Für 195 Mitglieder wurde ein Jahresbeitrag von 2 Reichsmark = 390,- RM an den Verkehrs- und Verschönerungsverein überwiesen.  Diesem Verein war der Bürgerverein bereits einige Jahre vorher als kooperatives Mitglied beigetreten.

Zum Abschluß dieses für den Bürgerverein so traurigen Kapitels bedarf es eines klärenden, Mißverständnissen vorbeugenden Wortes.  In diesem Abschnitt der Vereinsgeschichte sollten die zu seiner Auflösung führenden Vorgänge an Hand der Vereinsprotokolle aus der damaligen Zeit objektiv dargestellt werden.  Keineswegs sollte der Eindruck erweckt werden, man wolle nachträglich die aufgelösten Bürgervereine in die Front der Naziverfolgten einreihen.  Nicht jeder, der sich heute zu den Gegnern des Systems rechnet, war ein Gegner.  In dieser Hinsicht wird böse Geschichtsfälschung betrieben.  "Man darf ja nicht vergessen, wie populär der Nazismus war; das wird ja immer heruntergespielt." Diesen Worten von Heinrich Böll kann man nur zustimmen, wenn es um die Wahrheit geht.

Die öffentliche Meinungsbildung oblag im Dritten Reich ausschließlich der Partei.  Da war kein Platz mehr für eine Mitwirkung und Mitbestimmung anderer Gruppen in öffentlichen Angelegenheiten.  So wie es in dem Sitzungsprotokoll dargestellt ist, hatten die Vereinsvorstände der Bürgervereine schon rechtzeitig erkannt, daß ihren Vereinen die Existenzgrundlage entzogen war.

Der Bürgerverein Nord hatte etwas größeres Beharrungsvermögen.  Schließlich mußte aber auch er kapitulieren, was man sicherlich als Unrecht empfand, ohne schon das Wissen zu besitzen, daß Bürgervereine nur in dem freiheitlichen Klima einer Demokratie bestehen können.